Die junge Frau auf dem Bild hat es gut. Genügend Abstand wohin man schaut. Das ist an einem Nordseestrand am frühen Morgen in den ersten Januartagen auch nicht weiter schwierig. Und da das Bild einige Jahre alt ist, können Sie sicher sein, die Einsamkeit (sieht man einmal von dem Menschen ab, der das Foto gemacht hat) ist selbst gewählt.
Unsere Zeit sieht leider anders aus. Abstand ist behördlich verordnet und absolut notwendig. Nur den etablierten Begriff finde ich etwas unglücklich formuliert: social distancing. Sozialer Abstand geht doch an dem vorbei, was notwendig ist und ist nicht nur deshalb in meinen Augen auch gefährlich. physical distance trifft es da wohl besser. Abstand halten, Körperkontakt vermeiden, Maske tragen – das sollte wohl jeder von uns verinnerlicht haben. Alles andere ist aber doch dringend zu empfehlen. Soziale Nähe, freundliche Worte, Augen, die Lächeln, Worte, die jemanden aufbauen können genauso wie trösten. Empathie für Menschen, die Ihre persönliche Ausnahmesituation erleben, als Erkrankte genauso wie als Pflegende. Jeden Morgen aufstehen und dankbar sein, wenn es einem gut geht.
Da kann man gut reden, wenn man gesund ist und sich auch wirtschaftlich keine Sorgen machen muss – werden Sie vielleicht denken. Und Sie haben Recht. Abgesehen davon, dass unser Staat sich um die kümmert, die in wirtschaftliche Schieflage geraten sind oder zu geraten drohen, müssen wir alle dafür Sorge tragen, dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Pandemie abgemildert werden. Denn nicht alle werden vom Raster aufgefangen. Denen, die hindurchfallen, sollten wir verstärkt unter die Arme greifen. Da ist nicht nur der Staat gefragt, nach dem alle schreien, der vermeintlich und mal wieder alles falsch macht. Nein, auch persönlich werden wir gefordert werden. Das glaube ich zumindest und werde meinen Beitrag leisten.
All das hat mit social distancing nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Die Verwandten des social distancing werden stillverschweigend und schleichend mitgeliefert: Soziale Kälte und Ignoranz, Egoismus und Rechthaberei – manchmal gepaart mit einer ordentlichen Portion dümmlicher Unverfrorenheit.
Da kommt zum Beispiel eine Frau zur Beratung zu uns in die Praxis und vereinbart einen Folgetermin. In der dazwischen liegenden Zeit werden wir von ihr im Internet auf rüpelhafte Weise beschimpft.
Die Antwort auf meine Frage, warum Sie das denn tue, macht mich heute noch fassungslos: „Aber im Internet darf man doch alles. Wen stört das?“
Nein, darf man nicht, habe ich geantwortet und gleichzeitig gewusst, es wird nichts ändern.
Solche unschönen Situationen sind, obwohl wir sie gelegentlich erleben, Gott sei Dank die Ausnahme. Die Regel sind Sie, liebe Patientinnen und Patienten, die zu uns in die Praxis kommen, auf Augenhöhe mit uns reden und immer bestrebt sind, mit unserer Unterstützung möglichst wieder gesund zu werden. Für Sie machen wir unsere Arbeit und wir machen sie gern.
Mal schauen, was das Jahr bringt. Es wird nicht leicht, befürchte ich, trotzdem können und werden wir diese Krise überstehen – mit physical distance und social warming wird uns das gelingen.
Jede in unserem Team wünscht Ihnen alles nur erdenklich Gute.
Ihre
Dr. Astrid Gendolla